Dieter Ronte

5 Painting1 = 1 Work

Kunstmuseum Bonn April 9 2003 - March 2004  (English)
August Macke hat das Thema vorgegeben, Farbe, Farbe, Farbe. Deshalb widmet sich das Kunstmuseum Bonn in seinen Sammlungen ebenso wie in vielen Wechselausstellungen diesem Thema. Farbe an sich trägt immer den Charakterzug von Abstraktion, das Hinweg von der Lokalfarbe, von der Farbe, die nur einen Gegenstand erklärt. Farbe bedeutet Freiheit, Aufbruch, Abstraktion, radikale Setzung.

      
Rudolf De Crignis, dessen Werk ich vor vier Jahren in seinem New Yorker Atelier sehen konnte, gehört zu diesen extremen Künstlern, die durch Verzicht ein Mehr versuchen. In den Bonner Arbeiten sehen wir einen weißen Raum mit blauen Bildern, die für diesen Raum konzipiert sind, die sich aufeinander beziehen, obwohl sie genauso gut autonom gesehen werden könnten.

Diese Position der radikalen Malerei, der Untersuchungen von Farbe auf dem klassischen rechtwinkligen Bild ist eine äußerste Konsequenz, deren Einfachheit in Wirklichkeit aber eine große Vielfalt bedeutet. Der Betrachter ist gezwungen, den Raum zu durchschreiten, ihn sozusagen nicht zu beachten oder aber sich hinzustellen, den Raum lange auf sich wirken zu lassen, um die Unterschiede des Monochromen zu sehen, die Autonomie des Mediums Malerei zu verstehen, die Abkehr vom Wort ebenso von der gestischen Schilderung oder gar einer narrativen Tendenz. Der Betrachter verliert gewohnte Distanzen und vielleicht auch Emotionen. Das Radikale des radical sucht das Biologisch Biografische als Option der Emotionen und persönlicher Erinnerungen.

Diese Farbräume können alternierend entstehen als spezifische Sammlungsblöcke im Kunstmuseum Bonn. Wir danken den Künstlern und einem ungenannt bleiben wollenden Sammlerehepaar in Bonn. Ihnen gilt es, sie für diesen Einsatz zu loben, denn ihr Engagement ist im Sinne des Wortes vorbildlich. Durch die Hineinnahme von Künstlern, die nicht direkt zur Malerei aus Deutschland zu zählen sind, gewinnt die Sammlung eine neue Spannung, einen neuen Akzent, so z.B., wenn man den Raum von De Crignis mit dem Raum von Gotthard Graubner vergleicht oder den Bildern von Katharina Grosse. Die Härte New Yorks wird deutlich, der Verzicht artikuliert sich, die Präzision strahlt mit großer Kraft und ohne jegliche Sentimentalität.

Die Arbeiten des Künstlers sind in einem größeren Kontext zu sehen, der wiederum die spezifischen Konditionen widerspiegelt. Sie sind das Ergebnis eines intensiven Arbeitens während der letzten Jahre. De Crignis versucht, die Kunst der Malerei im Sinne der Farbmalerei so zu verstehen, dass die Farbe die transparente Erscheinung von Licht repräsentiert. Insofern liegt hier ein Vergleich mit den Lichtinstallationen von James Turrell nahe. Alle Arbeiten versteht er als work in progress. Jedes Bild ist demnach Teil eines größeren Verständnisses von Farbe und Licht, von Kunst. Dennoch sind alle fünf Arbeiten in Bonn ein Bild.

Im Kunstmuseum Bonn bespielt Rudolf de Crignis Raum 8. Das Thema ist Ultramarinblau. Die Bilder sind für das Museum relativ tief gehängt, sodass ein unmittelbares körperliches Gegenüber für den Betrachter entsteht. Die Bilder durchdringen den Raum und damit auch den Betrachter. Er kann, wenn er sich im Raum befindet, den Bildern nicht ausweichen. Die Bilder erlauben keine Distanziertheit. Ihre ästhetische Distanz geht durch den Raum hindurch bis zum anderen Bild. Der Betrachter steht in der Mitte und beginnt seine Gefühle angesichts dieser Menge von Blau neu zu begreifen und zu kontrollieren.

Der Betrachter muss sich seine Sehweisen, seine Distanzen, seine Blickwinkel in dem Raum selbst erarbeiten. Die Bilder agieren wie ein konkretes Environment mit einer unendlichen Tiefe von Licht und Farbe. Es geht also bei dieser Technik der Malerei auf Leinwand um die Frage Raum, Licht, Zeit und Identität.

Ultramarinblau ist zunächst die unmittelbarste Perzeption der Arbeiten auf der Oberfläche. Dennoch ist es nur eine Art Katalysator, denn jedes Bild hat eine individuelle Farbe und es vibriert dreidimensional. Die Tiefe ist im Bild verankert, allerdings ohne jegliche gemalte Perspektive. Die Malerei bleibt als Farbe unter sich. Je länger der Betrachter schaut, desto tiefer werden die Bilder, desto beunruhigender sind sie, desto mehr können sie bei dem Betrachter auslösen. Es sind perfekte Oberflächen, die in vielen Schichten gemalt sind.

Mit jedem Auftrag einer Malschicht, die auf einer weißen Kalkgrundierung aufgelegt wird, wird das Licht anders reflektiert. Schicht für Schicht entsteht so ein Körper, die Leinwand als dreidimensionales Objekt. In allen Arbeiten ist Ultramarinblau in Verbindung mit anderen Farben die Hauptfarbe. Die sehbare farbige Oberfläche ist das Ergebnis von Verbindung und Saturiertheit der verschiedenen Farben. Es ist aber auch gleichzeitig eine Fiktion und Interaktion zwischen kontrastierenden Farben in jedem Werk.

So geschlossen die Arbeiten auch sind, so offen agieren sie. Ihr Gewicht, ihre sehbare Gewichtung, die Nähe ihrer Distanzen zueinander verlangt von dem Betrachter nicht nur visuelles Sehen, die Retina als physische Funktion, sondern auch ein verstandesmäßiges, zerebrales sich Einbringen; eine psychologische Bereitschaft, den Atem der Bilder aufzunehmen. Diese Perzeption ist nicht vorbestimmt, sondern von jedem Betrachter unterschiedlich zu erfahren. Der Raum von De Crignis ist ein Experiment, eine Erfahrung, einzigartig für jeden Betrachter und zugleich von einer größeren Realität, von einer erweiterten Wirklichkeit.

Der Raum 8 baut sich wie folgt auf: Es ist ein quadratischer Raum, mit einer Längswand, zwei Querwänden und gegenüber der Längswand eine Wand mit Durchgängen nach links und rechts bzw. auch hindurch in andere Räume. Die Arbeiten sind an der Längswand um die Mittelachse gesetzt, auf den kürzeren Querwänden ebenfalls auf Mittelachse gesetzt, aber nur dann, wenn man die Wandöffnungen, die oberhalb der Öffnung ganzwandig werden, mit dazu zählt, die kürzere von den Längswänden ist ebenso axial besetzt.

Mit diesem Raum hat De Crignis sein schweizerisches Erbe völlig zurückgelassen, man sieht nichts mehr von calvinistischer Erklärbarkeit, nichts von den Züricher Konstruktivisten und den Formeln dieser methodischen Künstler. Er hat sich in eine neue Tradition hinein begeben, die radikal und zugleich auch emotional ist. Vielleicht sieht er seine Aufgabe darin, Mark Rothko auf einen minimalen Punkt zu bringen, sodass alle romantischen Elemente wegfallen, wissend, dass die größte Erkenntnis nur dann möglich ist, wenn sie von Emotionen ausgelöst wird.

Dieter Ronte, Bonn, April 2003